Ondes

- Titel des ersten Teils der Calligrammes, zu dem auch ”Lettre-Océan” gehört

- Funkwellen als Übertragungsmedium der Telegraphie vs. Meereswellen als ‚Übertragungsmedium‘ der Postkarte

- Graphische Doppelgestalt der Wellen in den beiden Eiffelturm-Bildern: lineare Ausbreitung vs. konzentrische Kreise

- Übergreifende Phantasie der energetischen Aufladung dem Atmosphäre evt, an Erdbeben als seismischer Erschütterung durch wellenartige Erderschütterungen erkennbar? (nach -> Richter, Apollinaire, 140, stellt Apollinaire in einer kunstkritischen Schrift einen Zusammenhang zwischen dem Eiffelturm und der Erschütterung durch ein Erdbeben in Delaunays kubistischen Bildern her)

Die -> graphische Gestalt des Gedichts verhält sich dynamisch in Relation zu Textseiten, deren Lettern in einem gleichmäßigen Gitternetz verteilt sind und insofern eine vorhersagbare Bewegung des Lesers entlang der Zeilen, von links nach rechts und von oben nach unten fordern. Auch bei der Textstruktur von -> Lettre-Océan handelt es sich wieder um Lettern, die auf der Seite fest angeordnet sind ; durch die wechselnde Schrifttype und Schriftgröße wie auch durch die wechselnde Schreibrichtung wird aber eine konventionelle Aktstruktur unmöglich gemacht : der Leser muß seine Aufmerksamkeit einer Zeilengestaltung anpassen, die teilweise, etwa in Gestalt von Gabelungen, recht einfach zu erkennen und zu verarbeiten ist, teilweise aber, wenn es um mögliche Relationen und Anschlüsse über verschiedene Zeichenformate geht, auch willkürliche Entscheidungen, Revokationen, Experimente verlangt. Es besteht aber auch die ganz andere Möglichkeit, die Textstruktur insgesamt zu fokussieren und die Verlaufsgestalt zugunsten der Simultangestalt (-> Simultanismus) auszublenden, wodurch letztlich die Doppelseite wieder in ihre festen Achsen zurückverlegt, die alternative Formatierung als unkonventionelle, oder besser gesagt komplexere Funktion in einem kartesischen Koordinatensystem beschreibbar wird. Erscheinen unter diesem Aspekt die einzelnen Lettern als Teilchen, deren Eigenschaften feststehen und in dem Handwerk des Buchdrucks klar und deutlich institutionalisiert sind, besteht doch weiterhin die Verlaufsgestalt weiter, die zu den Regeln des Satzsystem in Spannung steht. Man könnte diese Spannung mit dem Welle-Teilchen-Dualismus des Lichts vergleichen, der durch Einsteins Entdeckung der Photonen 1905 vorbereitet wird. Gilt das Licht schon seit längerem als Welle, so schafft die Entdeckung seiner Teilchennatur ein Paradox, eine Spannung, die sich im Satz der Seite von Lettre-Océan niederschlägt. Die Diskursivierung, die wissenschaftliche Lösung dieses Paradoxes durch de Broglie, Planck und andere gelingt erst später, was seinen Reiz für die Literatur der Moderne nicht mindert.

In Vendémiaire steht die Welle als "onde nouvelle" für eine neue, vitale von den Zwängen der alten Versdichtung wie von den Vorgaben der romantischen Dichtung befreiten Poesie. (Vgl. -> Krenzel-Zingerle, S. 207 ff.) ( -> Tremblement de terre, -> Sirènes)