Sirènes

Wiederholt findet bei Apollinaire eine Auflösung artikulierter Rede zugunsten einer sensualistischen Poetik der intensiven Wahrnehmung statt (cf. -> Intertext: ”Liens: ”J’écris seulement pour vous exalter / O sens ô sens chéris ...”; vgl. dazu auch -> Mathews, Reading Apollinaire, 176, der in Anlehnung an Goldenstein von ”displacement” spricht: ”Instead, each level of expressiveness displaces each other.”)

Mediengeschichtlich interessant ist dabei, dass die Auflösung bzw. das Umspielen der Grenze von Zeichenhaftigkeit offensichtlich erst in Korrelation mit technischer Übertragung als Faszinosum hervortritt: So sind die Sirenen, die ”hou” singen, einerseits mythologische Gestalten, daneben aber auch Apparate, die technisch Geräusche erzeugen (vgl. außerdem das Geräusch ”-> cré”, das auch als Rauschen der Grammophonplatte interpretiert werden kann).

Geräusche ohne Bedeutung werden aber ihrerseits nur durch Ausstellung in einem Medium, in dem bedeutungstragende Zeichen statt bedeutungslose Geräusche erwartet werden, überhaupt wahrnehmbar.

"Hou Hou ou ou" kann das Geräusch der technischen Sirenen ebenso darstellen wie den hohen, "sphärischen" Gesang der mythologischen Sirenen.

Die doppelte Bedeutung der Sirenen setzt Apollinaire auch in Les Fiançailles (Alcools) ein. In den Alcools tauchen die Sirenen immerwieder als weibliche, zerstörerische Verführerinnen (s. Lul de Faltenin, La chanson du Mal Aimé, Vendémiaire) und als klagende Sängerinnen auf. In Vendémiaire wird ein Selbstmord der Sirenen als Kapitulation der alten Poesie vor der im Text besungenen neuen Poesie der Alcools gefeiert. (-> Krenzel-Zingerle, S. 207ff) (-> Tremblement de terre).